Argentinien: Auf jeden Fall, aber nur mit gutem Risikomanagement.
Die veränderte geopolitische Lage seit dem Krieg in der Ukraine hat internationale Unternehmen dazu veranlasst, sich wieder stärker mit den Märkten in Lateinamerika zu befassen. Im Vergleich zu den Risiken in Laendern, die bis vor kurzem noch als "stabil" galten, und den Problemen, die bei den Lieferketten im Osten aufgetreten sind, erscheinen Governance-Fragen in der Region plötzlich nicht mehr so wichtig.
Dies ist für Argentinien, die zweitgrößte Volkswirtschaft Südamerikas, besonders interessant, auch wenn sich das Land - wieder einmal - in einer wirtschaftlichen und vor allem politischen Krise befindet. Aber die Aussichten sind positiv: Ende 2023 stehen Präsidentschaftswahlen an. Die Chancen für einen politisch und wirtschaftlich gesunden Kurs stehen gut.
Die Analysten sind sich einig: Lithium, Gas, Landwirtschaft und Talente sind die 4 Säulen , auf der die Wirtschaft des Landes ruht und stark wachsen wird.
Die Ausbeutung von weltweit bedeutenden Lithium- und Gasvorkommen hat begonnen.
Argentinien ist eines der effizientesten Agrarländer und bedeutender Sojaproduzent.
Das Land verfuegt über einen bedeutenden Talentpool in Zukunftsberufen und eine lebendige Start-up-Szene mit 12 "Einhörnern".
Erstaunlich fuer ein Land mit bestaendig hohen Volatilitaeten. Aber die Unternehmen und die Menschen haben gelernt, damit umzugehen und selbst die schwersten Krisen erstaunlich schnell zu überwinden.
Eine der wenigen Gewissheiten in Argentinien ist, dass die naechste Krise kommen wird. In Argentinien erfolgreiche Firmen zeichnen sich durch ein angemessenes, auf dieses Land zugeschnittenes Risikomanagement aus. Einige wissen, wie man das macht und haben nachhaltig Erfolg, andere können es nicht (oder wollen es nicht mehr) und verlassen das Land. In der Regel bereuen sie es ein paar Jahre später.
Entscheidend ist die Fähigkeit, die kommenden Ereignisse nüchtern zu antizipieren und vorausschauend Abfederungsmassnahmen zu erarbeiten. Hierfür ist ein Risikomanagementmodell mit Fokus auf den moeglichen Kausalen der verschiedenen Risiken unerlaesslich.
Ein typisches Beispiel: Eines der Merkmale Argentiniens sind (zu) hohe Staatsausgaben. Die Folge sind endemische Inflation und der Abwertungdruck auf die Landeswaehrung. Da keine Regierung diese beiden Nebenwirkungen akzeptieren mag, es aber auch an der Bereitschaft (oder der Faehigkeit) zur Senkung der Staatsausgaben fehlt, leidet die argentinische Wirtschaft unter allen möglichen verzerrenden Eingriffen. Hierzu gehoeren kreative Eingriffe in den Devisenmarkt und Druck auf die Wertschöpfungsketten, nicht die Preise zu erhöhen, obwohl in Wirklichkeit nicht die Preise steigen, sondern der Wert des argentinischen Peso sinkt. Es ist von entscheidender Bedeutung, diese Phänomene zu verstehen, um erfolgreich arbeiten zu können, da sie von den traditionellen Annahmen der Wirtschaftslehrbücher und Managementhandbücher abweichen.
Mit anderen Worten: Argentinien ist ein wirtschaftlich sehr attraktives Land, aber man muss sich auf bestimmte typische Risiken einstellen.
Matthias Kleinhempel
LAV Senior Commissioner Argentinien
mkleinhempel@kleinhempel-partners.com
Dieser Beitrag ist im Magazin des Lateinamerika Vereins (LAV) im November 2022 erschienen.
By Matthias Kleinhempel